MILITÄRISCHE SCHRIFTEN ZUM RUSSISCHEN BÜRGERKRIEG

UND KAMPF GEGEN DIE IMPERIALISTISCHE INTERVENTION 

 

Der Aufbau der Roten Armee

in der Revolution

 

WLADIMIR A. ANTONOW-OWSSEJENKO[1]

(V. A. ANTONOV-OVSEENKO, V. A. ANTONOV-OVSEIENKO)

 

Konzeption und Organisation, Sammlung, Revision und neue Veröffentlichung

Rochel von Gennevilliers

Dezember 2004

emilvonmuenchen@web.de

Tradução em uma língua neo-latina

Übersetzung in eine neue neolateinische Sprache  

 

 

I.

Die revolutionären Kampftraditionen der Partei

und die vorrevolutionären Vorurteile der Epoche 

Die Vorbereitung der bewaffneten Kräfte der Oktoberrevolution

Die Oktoberstrategie

Das Krassnow Abenteuer

Die nächsten militärischen Aufgaben

 

Die Vorbereitung bewaffneter Kräfte, die die Bestrebungen des Proletariats zu unterstützen fähig waren, wurde von unserer Partei schon lange vor den entscheidenden revolutionären Oktoberereignissen in Angriff genommen.

Die ruhmvollen Kampftraditionen der Partei, die bereits in der ersten Revolution von 1905—1907 die Losung der Vorbereitung der bewaffneten Erhebung aufstellte und diese Erhebung praktisch im Namen der Besitzergreifung der Macht durch das sich auf die Dorfarmut stützende Proletariat vorbereitete —, diese Traditionen waren stets unter den Bolschewiki lebendig.

Der aktive Kampfgeist der Partei trat bereits in den ersten Tagen des imperialistischen Krieges in Erscheinung.

Die Partei stellte, repräsentiert  durch ihre führende Spitze, die Losung auf, den imperialistischen Krieg in den Bürgerkrieg übereilten, sie proklamierte den „Krieg gegen Kriege", sie rief die Soldaten aus den Schützengräben des räuberischen Schlachtens auf die Barrikaden des Klassenaufstandes.

In den Fragen des Militarismus zeichnete sich der Standpunkt der Partei stets durch volle Bestimmtheit aus.

Die Partei, die von allen Illusionen des Sozialpazifismus frei war, erhob sich auch damals, als sogar einige aus der „Zimmerwalder Linken" (z. B. die norwegische Gruppe) diesen Illusionen reichlichen Tribut zollten, in Kiental gegen die Losungen der allgemeinen Abrüstung usw.

Übrigens ist selbst in den verantwortlichsten Parteikreisen diese weitsichtige Orientierung ihrer Führer, in Anwendung auf die russische Wirklichkeit, auf gewissen Widerstand gestoßen.

In den Diskussionen, die sich an die berühmten Thesen Lenins, besonders auf der Parteikonferenz im April 1917 anknüpften, traten die in der Partei noch lebendigen Vorurteile hinsichtlich des rein demokratischen Charakters der in Russland bevorstehenden Revolution im Namen der Verwirklichung der so genannten „drei Kampfpunkte" zu Tage (es ist übrigens angebracht, sich daran zu erinnern, dass das ausländische Parteiorgan „Der Sozialdemokrat" auch vorher schon mehrfach die gleiche eingeschränkte Plattform aufgestellt hat).

Die Aprilkonferenz sprach sich mit Bestimmtheit für die proletarische Diktatur und gegen die bürgerliche Demokratie, für den Bürgerkrieg und gegen den so genannten „revolutionären Defensismus und das Sozialkompromißlertum aus.

Aber noch lange im Laufe des ganzen Jahres 1917 macht sich der Widerhall der Vorurteile aus der alten, vorrevolutionären Epoche in dem Schwanken einiger Parteigruppen hinsichtlich der grundlegenden Fragen unserer Taktik bemerkbar.

Immerhin hat die Aprilkonferenz dem Parteikurs die Richtung auf den bewaffneten Aufstand gegeben und die Partei wurde durch  die Mehrheit des Zentralkomitees energisch in diesen Kurs gelenkt.

Die Vorbereitung bewaffneter Kräfte für die „Besitzergreifung der Macht" wurde von der Partei in zwei Richtungen in Angriff genommen: in den Truppenteilen der alten Armee zum Zwecke der Schaffung eines bewaffneten Rückhaltes und unter den Arbeitern zum Zwecke der Schaffung einer bewaffneten Klassenmacht in Gestalt der proletarischen Roten Garde.

Eine gewisse revolutionäre Arbeit unter den Soldatenmassen betrieb die Partei natürlich auch schon vor dem Februarumsturz.

Aber erst nach dem Entstehen der militärischen Organisation in Petrograd (im April 1917) begann diese Arbeit richtige Gestalt anzunehmen.

Mitte Juni waren auf der All-russischen Militärischen Parteikonferenz 50 militärische Organisationen vertreten (unter ihnen 43 Frontorganisationen) mit einer Gesamtmitgliederzahl von 30 000 Soldaten-Bolschewiki.

Als Hauptaufgabe der militärischen Organisation wurde von der Konferenz definiert die Schaffung „eines materiellen bewaffneten Rückhalts für die Revolution und die von dieser auf die Tagesordnung gestellten Forderungen unter den revolutionär-demokratischen Elementen der Armee“

Von besonderer Bedeutung war das Verhältnis dieser Konferenz zum „revolutionären Defensismus“.       

Die Aprilkonferenz verurteilte den „revolutionären Defensismus" als die Position, auf der die imperialistische Bourgeoisie die bäuerlichen Massen der Kleinbesitzer, die (nach Genossen Lenins Worten) „aufrichtig defensistisch" sind, für ihre eigene imperialistische Politik einfängt.

Die militärische Konferenz im Juni geht weiter, sie wirft die Frage auf, ob ein revolutionärer Angriffskrieg möglich sei.

In der Resolution, die von der Konferenz zu dem Referat Lenins „Über Krieg, Frieden und Angriff" gefasst wurde, heißt es:

 

„Der Aufruf zum Angriff wäre für die revolutionäre Sozialdemokratie nur dann annehmbar, wenn die Macht in die Hände der Sowjets der Revolutionären Demokratie und der Sozialdemokratie überginge und die revolutionäre Demokratie sich offen und unzweideutig mit einem Friedensangebot an alle kriegführenden Länder wenden würde. Eine solche Situation würde das allgemeine Vertrauen der Arbeiter aller kriegführenden Länder zueinander herstellen und unfehlbar zu einer Erhebung des Proletariats gegen alle imperialistischen Regierungen führen, die sich einem solchen Frieden widersetzen würden.

Nur eine solche Offensive würde zu einem Kampf um den Frieden und um die allgemeine Freiheit werden."

 

Auf der Konferenz wurde das „Zentralbüro der militärischen Organisationen" gewählt, das unter der Leitung des Zentralkomitees eine energische Arbeit unter den Soldatenmassen begann.

Die Agitationsarbeit unserer Partei unter den Soldaten trug keineswegs den Charakter passiven Widerstandes.

Die Aufgabe unserer Agitation lief durchaus nicht nur auf die einfache Zersetzung der früheren Armee hinaus.

Diese Armee war in unaufhaltsamer Zersetzung begriffen, indem sie in ihrer Organisation die Struktur der früheren Gesellschaftsordnung widerspiegelte, musste sie auch das Schicksal dieser letzteren teilen.

Wir „stießen einen Fallenden", zugleich aber waren wir bestrebt, die gesunden revolutionären Elemente der Armee durch neue Bande miteinander zu verbinden.

Die von uns eroberten Regimentskomitees wurden zum Zement für die „revolutionär-demokratischen" Elemente der Armee.

Die von uns aufgestellte Losung der organisierten Verbrüderung an den Fronten wurde von den Soldatenkomitees, die unter unserem Einfluss standen, klug und energisch genug durchgeführt, um zur Zersetzung der deutschen imperialistischen Truppen beizutragen.

Das deutsche Oberkommando war zur häufigen Ablösung seiner Regimenter an unserer Nords und Westfront gezwungen.

Diese   revolutionäre Arbeit   unter   den deutschen Soldaten wurde durch die „große Offensive" zum Scheitern gebracht, die von Kerenski gerade am Tage nach der all-russischen Demonstration  unternommen  wurde, unter „bolschewistischen" Losungen vonstatten gegangen war.

Die Anwendung der Resolution der militärischen Konferenz über den Angriff stieß natürlich in der Praxis auf ungeheure Schwierigkeiten.

Und  das gilt besonders für die zweite Kerenkis Periode, in der das Kräfteverhältnis ganz deutliche Gestalt angenommen zu haben schien: das Kornilowsche Abenteuer wurde in seinen ersten Anfängen zum Scheitern gebracht, da es unter den Soldaten in den Schützengräben keine Unter­stützung fand und auf energischen Wider­stand seitens der revolutionären Proletarier stieß.

Die Schicksale waren entschieden, als der Heerführer der imperialistischen Demokratie eine so erbärmliche Niederlage, erlitten hatte.

Und den Frontbolschewiki, die mit den Deutschen in enger Fühlung standen, erschienen die Truppen des deutschen Imperialismus als eine größere Gefahr für die unabwendbar herannahende proletarische Revolution als die verschiedenen Stoß-Bataillone, die Offizierschüler und die wilde Division, auf die sich die Herrschaft Kerenskis stützte.

Auf der im September 1917 in Walki stattgefundenen Soldatenkonferenz der lettischen Bolschewiki trat gerade diese Gesinnung deutlich zutage.

Als ich, als Vertreter von Petrograd, der Konferenz von der Lage in der Hauptstadt Mitteilung machte und auf die Unvermeidlichkeit eines bewaffneten Vorgehens gegen die Provisorische Regierung hinwies, wurde erklärt, dass von der Nordfront in der nächsten Zeit kein einziger Truppenteil fortgenommen werden könne, da sonst die Front entblößt werden würde.

 

„Wir üben einen außerordentlichen Einfluss auf die neben uns stehenden sibirischen Korps aus, und wenn wir unsere Stellungen verlassen, so werden auch diese die ihrigen verlassen, dann aber werden die Deutschen hereinbrechen und der Revolution wird ein harter Schlag drohen."

 

Ähnliche Zweifel wurden auch vom Zentralkomitee der Baltischen Flotte noch in den Julitagen geäußert.

Und mit besonderer Deutlichkeit trat die Gesinnung des revolutionären Defensismus (ich setze hier diese odiosen Worte ohne Anführungszeichen) auf dem zweiten Matrosenkongress Anfang Oktober zutage.

Zu dieser Zeit waren die Dinge in Petrograd so   weit   herangereift, dass der Ausbruch des Aufstandes als gänzlich unvermeidlich und sein Sieg als zweifellos erschienen.

Unterdessen ging die deutsche Flotte zum Angriff über, und unsere Flotte begann im Kampfe mit ihr schwere Niederlagen davonzutragen.

Der zweite Matrosenkongress der Bal­tischen Flotte erließ einen Aufruf „an die Unterdrückten aller Länder", der erfüllt war von der festen Zuversicht des Triumphes der Revolution und von der Bereitschaft, auf ihrer Wacht zu sterben.

Außerdem wurden von dem Kongress eine Reihe Maßnahmen für    die   Hebung    der   Kampffähigkeit   der Flotte ergriffen.

Diese Gesinnung des wahrhaft revolutionären Defensismus herrschte mit Entschiedenheit in jenen Truppenteilen vor, in denen wir den stärksten Einfluss hatten.

Diese Truppenteile bewahrten eine hohe Kampffähigkeit, und ihre Kampfrolle war in der ersten Periode der Revolution eine sehr bedeutende.

Die  alte  Zarenarmee  schied  auf  diese Weise, während sie in Zersetzung begriffen war, die   gesunden   Elemente   aus,   die   als Grundlage   für   die   neue,   die Sowjetarmee dienten.  

Neben dem Kampf um den Einfluss in der  Armee   und   der   Arbeit   für   den   Zusammenschluss und die revolutionäre  Disziplinierung unserer bolschewistischen Kader in der Armee ging die Arbeit der Schaffung unserer Klassenkampabteilung, der Roten Arbeitergarde, einher.

Diese Aufbautätigkeit, die bereits im März 1917 in den Paniken und Werken des Wiborger Stadtteils (Petrograd) begann, entfaltete sich alsbald nicht nur über das ganze Arbeiter-Petrograd, sondern auch über alle Arbeiterzentren Russlands.

Bei der ganzen (anfänglichen) Mannigfaltigkeit der Inangriffnahme dieser Arbeit trug der Aufbau der Roten Garde überall gemeinsame Züge: erstens waren die Instruktoren für die Arbeiterabteilungen die besten Elemente der alten Armee, die in dieser Hinsicht eine sehr große Rolle spielten.

Ferner: die Arbeiter für die Rote Garde wurden auf Grund des Gutachtens der Fabrik- und Werkkomitees ausgesucht und bewaffnet, doch behielten sie ihre Arbeiterstellung in den Fabriken bei und hörten auch oftmals nicht auf, in diesen zu arbeiten, sondern wurden nur zu bestimmten Stunden militärisch ausgebildet.

In Petrograd machte sich sofort die Tendenz bemerkbar, eine allgemeine, der Reihe nach erfolgende militärische Ausbildung der Arbeiter einzuführen und zugleich die ordentlichen Kampfabteilungen beizubehalten.

Diese Abteilungen waren stellenweise unter dem Scheine einer Arbeitermiliz für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Stadt organisiert worden.

Besonders rege entfaltete sich der Aufbau der Roten Garde nach den Kornilowtagen und der Schaffung eines Zentrums für die Vereinheitlichung dieser Arbeit.

Zu dieser Zeit erhielt die Rote Garde auch eine bestimmte Etatform.

Die Grundkampfeinheit war das Bataillon (360 Mann) aus drei Kompanien (Hundertschaften), mit einem Maschinengewehrkommando, einem Verbindungskommando, einer Sanitätsabteilung und einer Verpflegungsabteilung (oder    Wirtschaftsabteilung).

In Moskau begann die Organisierung der Roten  Garde in  verstärktem Maße erst in den Tagen vor dem Oktober, da sie  aus Mangel    an    Waffen    auf   sehr   ernsthafte Schwierigkeiten stieß.

Zur Zeit der bewaffneten Kämpfe konn­ten wir in Petrograd rund 10 000 Rotgardisten in den Kampf führen, dagegen in Moskau rund 3 000.

Das Prinzip der Freiwilligkeit, der Milizcharakter und das Wahlprinzip sind die Grundzüge der Arbeitergarde.

Neben   der   Organisation   der   Kampfkräfte  des  Aufstandes  ging  die   ernsthafte strategische Vorbereitung der Erhebung einher.

Die vom Zentralkomitee glänzend geleitete politische Kampagne garantierte uns nicht nur bis Anfang Oktober eine entschiedene Mehrheit im Sowjet der Arbeiterdeputierten und darauf auch im Sowjet der Soldatendeputierten, sie festige nicht nur den ausschließlichen Einfluss der Partei in allen Fabrik- und Werkkomitees, sondern schloss auch um unsere Partei, um ihr revolutionäres, sachliches Programm, dichte Schichten des städtischen Kleinbürgertums zusammen.

In einer Reihe von Rayons bemächtigten wir uns der Dumen" und begannen in ihnen eine rege praktische Arbeit.


Zugleich war das revolutionäre Petrograd zuverlässig durch einen Ring bolschewistischer Sowjets gesichert — es war in den Sowjets der in nächster Nähe der Hauptstadt liegenden Städte die Mehrheit erobert worden, es war eine Vereinigung der Sowjets des Petrograder Gouvernements und darauf auch die Nördliche Gebietsvereinigung geschaffen worden, die die Arbeit ganz Finnlands, der baltischen Flotte, der Nordfront, der Gouvernements Nowgorod, Pskow und sogar Archangelsk umfasste und in Übereinstimmung brachte.

Wir sicherten uns der Reihe nach die wichtigsten militärischen Positionen; in Kronstadt, an der Nord- und der Westfront, in den Garnisonen Finnlands und in der Baltischen Flotte eroberten wir uns Schritt für Schritt die entschiedene Mehrheit unter den breiten Massen (das machte sich unter anderem auch bei den Wahlen für die Konstituierende Versammlung bemerkbar).

Die Nord- und die Westfront deckten Petrograd von der Seite der Südwestfront und der Rumänischen Front, von wo aus ein Angriff der kerenski-treuen Truppenteile erwartet werden konnte.

Kronstadt und die Baltische Flotte mussten die aktive Macht des „Um­sturzes" sein.

Die Roten Garnisonen in Finnland waren imstande, nicht nur die unbestimmt gesinnte, im Voraus in vorsorglicher Weise von Kerenski hier gegen Petrograd aufgestellte 5. Kaukasische Kosakendivision in Schach  zu halten,  sondern  auch bedeutende Abteilungen  als  Hilfe  für   Petrograd zu entsenden.

Die unmittelbare Aufgabe des Militäri­schen Revolutionären Komitees in Petrograd war vor allem die Festigung der Verbindung mit dem revolutionären Finnland, und darum wurde der Sicherung der Wiborger Seite besondere Aufmerksamkeit zugewendet, von der aus die Eisenbahn nach Finnland geht und in deren Nähe die Peterpaulsfestung mit ihrem Arsenal liegt.

Die Besetzung der Peterpaulsfestung und ihres Arsenals wurde als nächste Kampaufgabe des Militärischen Revolutionären Komitees aufgestellt, die am 23. Oktober — ohne einen einzigen Schuss, durch Abhaltung von Versammlungen — glänzend gelöst wurde.

Die bewaffnete Erhebung bereiteten wir zur Zeit der Eröffnung des II. All-russischen Sowjetkongresses vor, und die Regierung Kerenskis hat durch ihre provokatorische Tätigkeit alles getan, damit die Geschichte sich nicht im Datum verfehle.

Das Militärische Revolutionäre Komitee, das durch die Idee der Menschewiki ins Leben gerufen worden war, die davon träumten, dadurch, dass sie die Arbeiter und die Garnison für die Idee der Verteidigung Petrograds interessierten, diese um die Provisorische Regierung zusammenzuschließen, — dieses Militärische Revolutionäre Komitee geriet von den ersten Tagen an  in einen schroffen Konflikt mit dem Militärischen Bezirksstab und milder Provisorischen Regierung selbst.

Im Kampfe um den Einfluss auf die Soldatenmassen erreichte das Militärische Revolutionäre Komitee von innen heraus die ,,Neutralisierung" von drei Kosakenregimentern, die durch Kerensky in den Julitagen zur Verteidigung der Provisorischen Regierung nach Petrograd gebracht worden waren, sowie auch die Neutralisierung des Semjonowschen und des Preobrashensky-Garde-Reserveregiments.

Durch die Regimentskomitees und unter Kontrolle des Militärischen Revolutionären Komitees entsandte Kommissare unterwarf sich das Komitee die übrigen Regimenter der Garnison.

Als aber die Regierung Kerenski den Versuch machte, die ihr treuen, rings um Petrograd verteilten Kadettenanstalten um das Winterpalais zu konzentrieren, wurde diesen Kadern der Weg durch die uns treuen Garnisonen von Gatschina, Oranjenbaum usw. versperrt.

An dem entscheidenden Tag konnte die Regierung Kerenski für ihre Verteidigung nur ganz minimale Kräfte versammeln.

Aber auch diese Kräfte waren derartig durch die sich geradezu physisch rings um diese Regierung bemerkbar machende Leere paralysiert,  dass  sie   unserem   wenig  geordneten Angriff einen auch nur einigermaßen ernsthaften Widerstand nicht hätten entgegensetzen können.

Die Feuertaufe der ersten Abteilungen der proletarischen Armee — der Oktoberaufstand brachte ihr einen leichten und entschiedenen Sieg.

Aber auch dieser Sieg war letzten Endes durch die langwährende, allseitige und musterhaft vom Zentralkomitee der Partei durchgeführte Vorbereitung erzielt worden.

Die rauere Prüfung ließ nicht lange auf sieh warten.

Kerenski gelang es, die Kosakendivision des Generals Krassnow durch Betrug zum Vorgehen gegen Petro­grad zu veranlassen.

Diese Division war gering an Zahl, sie hatte wohl kaum 1000 Reiter und einige Feldbatterien, und es operierte mit ihr zusammen ein starker Panzerzug.

Gleich bei den ersten Zusammenstößen mit diesem beweglichen und gewandten Gegner machten sich alle Mängel unserer damaligen militärischen Organisation bemerkbar.

Wir hatten keine Kavallerie und keine Feldartillerie.

Die Rote Garde erwies sich als für den Feldkrieg unvorbereitet.

Teile der Garnison hatten keinen zuverlässigen Kommandobestand und waren darum einer exakten militärischen Führung nicht zugänglich.

Nur dem ehemaligen Führer der Stoßabteilungen, dem Oberstleutnant Murawjow, der zum Oberstkommandierenden des Petrograder Militärbezirkes ernannt war, gelang es, das Offizierskorps zur Arbeit zu veranlassen und — zum 31. Oktober (RvG.: nach dem neuen Stil am 12. November) — so etwas wie eine Front zu organisieren.

Die aktive Rolle an dieser Front spielten wiederum die Abteilungen der Roten Garde und der Matrosen, die zu dieser Zeit etwa 1 500 Mann hoch aus Helsingfors eintrafen.

An ihrer Standhaftigkeit schellte die erste Begeisterung der Krassnow Leute.

Sie waren auch die Macht, die den Junkeraufstand im Innern Petrograds am 30. Oktober (RvG.: 11. November neuen Stils) zu Fall brachte.

Das Krassnow Abenteuer ließ uns unsere eigenen Mängel erkennen und rief eine gesteigerte Tätigkeit auf dem Gebiete des militärischen Aufbaus hervor.

Die erste Aufgabe auf diesem Gebiete war die Besitzergreifung des alten militä­rischen Apparats.

Nach Murawjow zum Oberstkommandierenden des Bezirkes ernannt, setzte ich die von diesem begonnene Hinzuziehung des alten Kommandobestandes zu unserer militärischen Arbeit fort und war bestrebt, den Stab zu veranlassen, seine Funktion unter unserer Kontrolle fortzusetzen.


Zum Zwecke der Kontrolle des Bezirksstabes und seiner allmählichen Reinigung wurde der Personalbestand des Stabes des Militärischen Revolutionären Komitees (der in den ersten Tagen des Oktoberkampfes entstanden war) mit den einzelnen Abteilungen des Bezirksstabes verschmolzen.

Dem Stab wurde ein besonderer Rat aus uns treuen Militärfachleuten beigeordnet, der die Fragen der Vorbereitung Petrograds zur Verteidigung (wir befürchteten ein Vorrücken der Deutschen) und der Hebung der Kampffähigkeit der Truppenteile ausarbeitete.

Es fanden sehr oft Versammlungen der Vertreter der Regimentskomitees statt, auf denen alle akuten Armeefragen zur Besprechung kamen, so besonders die Fragen der Hebung der revolutionären Disziplin in den Truppenteilen, des Kampfes gegen die Trunksucht, der Demobilmachung, der Nationalisierung «der Truppenteile usw.

Die Frage der Nationalisierung der Truppenteile ist besonders hervorzuheben.

Im Zusammenhang mit der Proklamierung des Selbstbestimmungsrechtes der unterdrückten Nationen war unter den Soldaten der Ge­danke aufgetaucht, aus den Soldaten bestimmter Nationalitäten gesonderte Truppenteile zu bilden.

Dem widersetzten wir uns in der Regel.

Wir waren aber gezwungen, uns mit der Fortführung der bereits unter Kerenski begonnenen Schaffung gesonderter Truppenteile der Ukrainer und ihrer Abreise in die Ukraine einverstanden zu er­klären.

Die Waffen und die Ausrüstung wurden hierbei in proportionalen Mengen ausgeteilt. Den Abfahrenden wurde die in der Resolution ihrer Generalversammlung zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung abgenommen, nicht die Waffen gegen die Sowjetmacht zu erheben.

Wir erklärten uns auch mit der Bildung gesonderter Weißrussischer-Truppenteile einverstanden, in der Hoffnung, in diesen ein Gegengewicht zu den polnischen Truppenteilen zu finden, die in der Nähe des Großen Hauptquartiers jagen und unter der Führung ihrer reaktionären Offiziere eine ernsthafte Gefahr darstellten.

Die Fragen der Demobilmachung wurden speziell auf einem militärischen Kongress abgesprochen, der im Dezember 1917 (unter dem Vorsitz Kedrows) einberufen wurde.

Auf dem Kongress wurde die Resolution über die Notwendigkeit, „sofort die Organisation von Korps der sozialistischen Armee in Angriff zu nehmen“ wobei die Kader den Reservetruppenteilen und den Frontsoldaten zu entnehmen seien, angenommen; es war beabsichtigt, die Demobilmachung allmählich in dem Maße durchzuführen, wie die Truppenteile durch diese im Rücken der Fronttruppen geschaffenen Freiwilligenformationen ersetzt würden.


Zur Durchführung der Werbekampagne für die freiwillige sozialistische Armee war von dem Kongress ein spezielles Agitationskollegium aus seiner Mitte gebildet worden.

Aber man kam nicht in die Lage, die Bildung der neuen regulären sozialistischen Armee erst abzuwarten.

Vor der neuen Macht erhob sich von den ersten Tagen an eine Reihe unaufschiebbarer strategischen, Aufgaben.

Man musste sich das Große Hauptquartier sichern, man musste den Moskauern helfen, die den Kampf begonnen hatten.

Eine Lebensnotwendigkeit war für Petrograd auch die Sicherung der Lebensmittelzufuhr aus Sibirien.

Zur Verwirklichung dieser Aufgaben wurde vom Stab des Militärischen Revolutionären Komitees kombinierte Abteilungen

 

1. aus Helsingforser Matrosen und einem Bataillon des Litauer Regiments unter dem gemeinsamen Kommando des Genossen Ter-Arutinjanz in das Hauptquartier,

2. ein Bataillon des 245. Finnischen Regiments und eine Abteilung der Petrograder Roten Garde mit einem Panzerauto der Putilow-Arbeiter unter dem gemeinsamen Kommando Potapows nach Moskau und

3. ein Bataillon Helsingforser Matrosen und das 17. Sibirische Infanterieregiment unter dem gemeinsamen Kommando des Schiffsfähnrichs Pawlow, dem der Kommissar Schtschukin beigegeben war, nach Tscheljabinsk zur Verteidigung desselben gegen Dutow entsandt.

 

Die Abteilung Ter-Arutinjanz besetzte das Hauptquartier ohne Kampf.

Die Abteilung Potapows kam mit Verspätung nach Moskau, nachdem sie sich unterwegs eines Panzerzuges Kerenskis bemächtigt hatte, vor dem die Arbeiter bei Bologoje die Schienen aufgerissen hatten.

Die Abteilung Pawlow nahm an dem langdauernden und erfolgreichen Feldzug gegen den Ataman Dutow teil.

Orenburg wurde von uns am 16. Januar (RvG.: 29. Januar neuen Stils) 1918 besetzt.

 

 

AKADEMIE MIKHAIL V. FRUNZE FÜR MILITÄRISCHE REVOLUTIONÄR-PROLETARISCHE KUNST

MILITÄRISCHE SOZIALISTISCH-INTERNATIONALISTISCHE STUDIEN

 FÜR MARXISTISCH-REVOLUTIONÄRE ARBEITER, SOLDATEN UND MATROSEN

 

VERLAG DER SCHULE FÜR AGITATOREN UND INSTRUKTOREN

“KOMMUNISTISCHE REVOLUTIONÄRE UNIVERSITÄT J. M. SVERDLOV”

ZUR MARXISTISCH-REVOLUTIONÄREN AUSBILDUNG, ORGANISATION UND FÜHRUNG

DES PROLETARIATS UND DESSEN UNTERDRÜCKTE VERBÜNDENTEN

MOSKAU – BUENOS AIRES - SÃO PAULO - PARIS

 

 



[1] Cf. ANTONOW-OWSSEJENKO, WLADIMIR ALEXANDROVITCH. Der Aufbau der Roten Armee in der Revolution, in : Kleine Bibliothek der Russischen Korrespondenz, Nr. 84-88, Verlag Carl Hoym Nachf. Louis Cahnbley, Hamburg 8, 1923, S. 3 ff.